Inzucht - Verblüffende Geschwisterliebe unter Fischen

Inzucht - Verblüffende Geschwisterliebe unter Fischen

Paaren sich Geschwister, leidet das Erbgut der Nachkommen. So erklären Biologen, wie schädlich die Inzucht ist - und warum sie so selten vorkommt. Doch Buntbarsche überraschen die Forscher: Haben sie die Wahl, pflanzen sie sich mit Bruder oder Schwester fort - und die Kinder profitieren.

 

Es ist eines der wenigen universellen Tabus: Brüder und Schwestern sollten keine Nachkommen zeugen. In fast allen menschlichen Gesellschaften gilt das. Im Tierreich ist es ebenso, dachte man lange, schon weil die klassische Vererbungslehre postuliert: Inzucht führt über die Generationen zum Verfall des Erbguts - und oft beim direkten Nachwuchs schon zu Schwächen.

 

Doch bei bestimmten Buntbarschen scheint diese Regel nicht zu gelten. Deutsche Wissenschaftler fanden heraus: Lässt man den Fischen die Wahl zwischen einem nicht verwandten Artgenossen und einem Familienmitglied, paaren sie sich weit häufiger mit Bruder oder Schwester.

 

Die Biologen setzten für ihre Studie geschlechtsreife Buntbarsch-Männchen in ein Aquarium mit zwei Weibchen und beobachteten, zwischen welchen Tieren es zur Paarung kam. Bei einer potenziellen Partnerin handelte es sich um eine Schwester des Männchens. Das Ergebnis war den Angaben nach eindeutig: In nur 6 von 23 Fällen entschied sich das Männchen für das nicht verwandte Weibchen, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift "Current Biology". "Es ist das erste Mal, dass eine solche Präferenz für einen eng verwandten Partner experimentell nachgewiesen wurde", sagte der Evolutionsbiologe Timo Thünken von der Universität Bonn.

 

Entsprechend der Idee vom universellen Tabu untersuchten die Forscher den so entstandenen Nachwuchs genauer. Doch Hinweise auf genetische Komplikationen als Resultat der tierischen Geschwisterliebe konnten sie nicht finden.

 

Inzucht bringt auch Vorteile

"Dazu kam, dass in unserer Studie Inzucht die Fitness der Nachkommen kaum zu beeinträchtigen schien", sagte Thünken. Weder starb der Nachwuchs von Geschwistern schneller, noch blieb er kleiner oder schwächer. Stattdessen würden verwandte Eltern bei der Aufzucht der Kinder besser zusammenarbeiten.

 

Die Forscher vermuten, dass ihre Beobachtungen auch für andere Arten zutreffen könnten. Zwar erben Tiere von jedem Gen zwei Kopien, eine vom Vater und eine von der Mutter. Ist bei einem Elternteil eine Erbanlage mutiert, kann das der Partner in der Regel mit einer gesunden Kopie ausgleichen. Wenn die Eltern verwandt sind, erhöht sich aber die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihnen dieselben Erbanlagen defekt sind - soweit die klassische Perspektive der Evolutionsbiologie.

 

"Andererseits sagen neue theoretische Arbeiten voraus, dass Inzucht den Sexualpartnern auch Vorteile bringen kann", betont Thünken. So müssen Buntbarsche nach dem Schlüpfen sehr gut auf ihre Jungen aufpassen, um sie vor Feinden zu schützen. Beispielsweise eskortieren sie gemeinsam ihren Nachwuchs bei den ersten Ausflügen.

 

Ein derart kooperatives Verhalten scheint unter Verwandten stärker ausgeprägt als unter Fremden: Die Zweier-Eskorte klappte unter den Geschwistern viel besser als bei nicht verwandten Partnern, beobachteten die Forscher. Auch als Wache vor der Bruthöhle gingen die fremden Männchen häufiger stiften. Stattdessen attackierten sie nicht selten die eigene Partnerin: Doppelt so oft wie bei Geschwistern kam es hier zum Krach.

 

Quelle: spiegel.de