Sage und schreibe 20.000 neue Tierarten wurden allein 2007 weltweit entdeckt. Doch nicht nur bei Expeditionen in die entlegensten Winkel der Erde erspähen Forscher unbekannte, mysteriöse Wesen, sondern auch dort, wo man sie eher nicht vermutet. WELT-ONLINE stellt die spektakulärsten Neuentdeckungen vor (Bilder siehe Quellangabe).
Ob Tropen oder Tiefsee – Zoologen entdecken heute mehr neue Tierarten als je zuvor, und ein Ende der Inventur der Natur ist nicht abzusehen. Aber nicht nur die Erforschung bisher unzugänglicher Regionen führt zu neuen Funden. Mit der relativ neuen Methode der Molekulargenetik können Biosystematiker Arten erkennen, die bisher im Verborgenen lebten.
Vor allem bei den Insekten, aber auch bei Schnecken, Muscheln und Krebsen stoßen Forscher auf diese Weise vermehrt auf bislang unbekannte Arten. Allein am Forschungszentrum für Biodiversitätsstudien in Deutschland, am Museum für Naturkunde in Berlin, haben Zoologen im Jahre 2007 mehr als 200 neue Tierarten wissenschaftlich beschrieben, darunter afrikanische Schmetterlinge, Süßwasserschnecken aus Südostasien und Baumfrösche aus Neuguinea.
Wie viele Neubeschreibungen es weltweit pro Jahr sind, weiß niemand. Vorsichtige Schätzungen für das Jahr 2007 gehen von wenigstens 1100 Arten aus; andere schätzen, dass es bis zu 20.000 neue Arten pro Jahr sein dürften. Dringend benötigt wird eine zentrale, online zugängliche Erfassung neu beschriebener Tierarten, ein Melderegister für zoologische Neuzugänge.
Vergleichsweise überschaubar sind ohne diese Datenbank derzeit allein die Neuentdeckungen bei den Säugetieren. Allerdings vergehen zwischen der eigentlichen Entdeckung und der korrekten wissenschaftlichen Beschreibung einige Jahre. So meldete beispielsweise eine Expedition der Umweltorganisation Conservation International im vergangenen Sommer, dass sie in Papua-Neuguinea gleich zwei neue Säugerarten beobachten konnten. Doch die neu entdeckte Riesenratte und eine kleine Beutelratte sind bislang nicht formal beschrieben.
Neuzugänge gibt es aber auch bei jenen Arten, die man bereits gut zu kennen meinte. Solche sogenannten kryptischen Arten waren zuvor mit ihrer Zwillingsart unter demselben Namen vereint. Oft sind sich beide in ihrer Anatomie derart ähnlich, dass sogar Experten sie nicht unterscheiden können. Erst mithilfe molekulargenetischer Methoden wie etwa dem Sequenzvergleich ausgewählter Genabschnitte kommen Biosystematiker jetzt dahinter, dass es sich indes in vielen Fällen um eigenständige biologische Arten handelt. Dann nämlich, wenn Geschwisterarten in ihrer genetischen Ausstattung, aber auch in ihrem Verhalten oder Vorkommen stark abweichen.
Unlängst entdeckte man etwa beim Nebelparder aus Südostasien, dass es sich offenbar nicht nur um eine, sondern um zwei Arten handelt. Neofelis nebulosa lebt auf dem Festland von Burma und Thailand bis Vietnam und Malaysia, auch auf den Sundainseln Sumatra und Borneo. Gerade in dieser Region schwinden die Regenwälder, was die Bestände der Raubkatze akut gefährdet. Von Neofelis diardi nahmen Zoologen bisher an, dass es eine auf Sumatra und Borneo lebende Unterart des Nebelparders ist. Molekulargenetische Studien ergaben jetzt aber, dass sich die Erbsubstanz der Tiere auf diesen beiden Inseln beträchtlich, nämlich in mehr als 40 Einzelstellen des Erbmoleküls, von denen bei Neofelis nebulosa des südostasiatischen Festlands unterscheidet. Die Unterschiede sind ähnlich groß wie zwischen Tiger und Löwe. Daher schlagen Zoologen vor, von zwei getrennten Arten auszugehen.
Ein weiteres Beispiel lieferte unlängst auch der Elfenbeinspecht – und ein für den Artenschutz höchst brisantes noch dazu. Denn die Tiere sind sehr wahrscheinlich in ihrem Verbreitungsgebiet im Süden der Vereinigten Staaten und Kuba bereits ausgestorben. Zumindest wurden sie dort seit Jahrzehnten nicht mehr gesichtet. Im Frühjahr 2005 soll aber ein Exemplar in den Sümpfen Arkansas gesichtet worden sein. Da weitere lebende Tiere aber fehlten, haben Molekulargenetiker Museumsmaterial untersucht und das Kunststück vollbracht, aus über 100 Jahre alten Geweberesten und Federn Erbsubstanz zu isolieren und zu analysieren. Demnach weisen die Gensequenzen der Elfenbeinspechte aus Kuba derart viele Unterschiede zu den auf dem amerikanischen Festland lebenden vermeintlichen Artgenossen auf, dass beide Spechtformen als gut separierte, bislang verborgene Arten gelten können.
Die Ironie der Naturgeschichte und der jüngsten Studien ist dabei, dass wir sehr wahrscheinlich mit dem Elfenbeinspecht nicht nur eine, sondern gleich zwei Arten aus dem noch immer weitgehend unbekannten Arteninventar der Natur verloren haben.
Quelle: welt.de